Zürich City Card: Wenn Lokalpatriotismus allen nützt
Alle Zürcher:innen sollen sich künftig mit einem stadtspezifischen Papier ausweisen können – das ist vor allem für Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus wichtig. Doch bei der Abstimmung über die Zürich City Card geht es nicht nur um Sans-Papiers. Ein Kommentar.
Noch entscheiden wir nicht über die definitive Einführung des Stadtausweises namens «Zürich City Card». Bei der Abstimmung von Mitte Mai geht es erst darum, dass «umfangreiche Vorbereitungsarbeiten und weitere rechtliche Abklärungen getroffen werden können», wie es auf der Webseite der Stadt Zürich heisst.
Natürlich geht es aber um weit mehr als um ein paar wichtige Abklärungen. Sollte diese Vorlage verloren gehen, wäre auch die Idee der City Card beerdigt. Denn wenn das Stimmvolk keine Vorbereitungen und Abklärungen will, hätte auch der Ausweis an sich vermutlich keine Chance an der Urne.
Worum geht es bei der City Card überhaupt? Für viele Zürcher:innen kommt diese quasi einem Sans-Papiers-Ausweis gleich. Doch das ist falsch. Die rund 10’000 Menschen ohne Ausweispapiere, welche mit uns in Zürich wohnen und arbeiten, leben heute in ständiger Angst, sie könnten auffliegen und des Landes verwiesen werden. Eine einzige Polizeikontrolle würde ihre Existenz ruinieren. Denn Menschen, deren Aufenthaltsstatus nicht geregelt ist, gelten rechtlich gesehen als illegal.
«Wir sind alle gleich, wir sind alle Zürcher:innen.»
Diese Angst und die fehlende Möglichkeit, einen Ausweis vorzulegen, verhindern die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Überall da, wo Menschen mit einem legalen Aufenthaltsstatus ihre Identität vorweisen, müssen Sans-Papiers draussen bleiben: Clubs, Bibliotheken, teilweise auch Sportanlagen, um einige Beispiele zu nennen. Und auch das Covid-Zertifikat war nutzlos, wenn man sich nicht ausweisen konnte. Bedeutet: Wer keinen Ausweis hatte, war während Monaten von fast Allem ausgeschlossen.
Nun könnten wir entweder alle Sans-Papiers regularisieren und ihnen einen legalen Aufenthaltsstatus verschaffen, oder, weil ersteres politisch derzeit nicht möglich ist, einen lokalen und nur in Zürich gültigen Ausweis installieren. Wenn nun aber nur Sans-Papiers diese City Card erhalten und nutzen, würden sie sich beispielsweise bei einer Polizeikontrolle erneut nicht ausweisen können, ohne ihren illegalen Aufenthaltsstatus zu verraten. Die City Card käme so einem Erkennungsmerkmal für Papierlose gleich.
Die Lösung ist einfach: Alle Menschen in Zürich erhalten die City Card. Das ist der Clou an der ganzen Sache. Wenn alle Zürcher:innen – unabhängig von Herkunft oder Aufenthaltsstatus – diesen Ausweis nutzen, fällt niemand mehr auf, wir sind alle gleich, wir sind alle Zürcher:innen.
Patriotismus ist meist Teufelszeug. Wenn in diesem Fall die Liebe zur eigenen Stadt dazu führt, dass mehr Menschen sorgenfrei hier leben können, dann ist dies eine seltene Form des gutartigen Lokalpatriotismus. Er kommt allen zugute.
In den kommenden Tagen und Wochen werden wir ausführlich und in mehreren Beiträgen über das Leben von Sans-Papiers und deren Kinder in Zürich berichten. Wenn du nichts verpassen willst, kannst du dich hier für den Newsletter anmelden.
An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Lara. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark.
Das mache ich bei Tsüri.ch:
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Politische Themen fesseln mich, schon seit ich ein eigenes Denken entwickelt habe. Darum schreibe ich auch am liebsten darüber. Weil aber fast alles politisch ist, schreibe ich über fast alles gerne. Ausser über Theater, die schaue ich mir lieber einfach an.
Darum bin ich Journalist:
In einer nicen Stadt wie Zürich gibt es Dinge, Ereignisse, Menschen, die eine Öffentlichkeit verdient haben und kritisch besprochen werden sollten. Ausserdem weiss ich, dass junge Menschen nicht das Interesse an politischen Themen und gutem Journalismus verloren haben – sie werden allzu oft leider einfach nicht als Zielgruppe ernstgenommen. Fazit: Gute Geschichten für junge Menschen, das treibt mich als Journalist an.
Das mag ich an Zürich am meisten:
Unsere Stadt ist gross genug, um eigene Projekte anreissen zu können und klein genug, um den Überblick nicht zu verlieren. Das liebe ich. Und den Sommer. Und all die lieben Menschen.